Bei politischer Bildung gibt es viel Luft nach oben | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Bei politischer Bildung gibt es viel Luft nach oben

Dezember 2024

Die Sozialpädagogin, Sozial- und Kulturanthropologin und Erwachsenenbildnerin Rahel Baumgartner ist Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung, sieht in Sachen politisches Wissen noch viel Luft nach oben und bezeichnet sich selbst als Bildungs-Junkie.

Rahel Baumgartner © WKO

Sie sind Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB). Welche beruflichen Stationen haben Sie dahin geführt?
Ich habe eine Ausbildung als Sozialpädagogin gemacht und in dieser Zeit in verschiedenste Bereiche hineingeschnuppert. Nach meinem Studium der Sozial- und Kulturanthropologie, Frauenforschung und Internationalen Entwicklung war ich unter anderem bei der „Initiative Minderheiten“ tätig und habe auch an einem Gleichstellungsprojekt an der Uni in Wien mitgearbeitet. Dieser Hang zur Vielfalt hat mich zur politischen Bildung geführt.

Was war der Beweggrund dafür, sich letztlich in der Erwachsenenbildung und hier speziell in der politischen Bildung, niederzulassen?
Ich bin ein sehr bildungsaffiner Mensch; eigentlich ein richtiger Bildungs-Junkie. Ich glaube tatsächlich an den Wert von Bildung. Dazu bin ich ein sehr politisch denkender Mensch – das war also eine naheliegende Kombination. Ich war auch ein Jahr lang in einem Jugendzentrum tätig – mich in Richtung Erwachsenenbildung zu entwickeln, war für mich nach dieser Erfahrung einfach reizvoll.

Worin besteht die Kernaufgabe der ÖGPB?
Da gibt es mehrere Schwerpunkte. Wir sind eine Förderstelle und unterstützen Projekte in ganz Österreich. Wir konzipieren Weiterbildungsangebote – auch gemeinsam mit anderen Bildungsanbietern und wir beraten Menschen, die Projekte im Bereich der politischen Bildung umsetzen.

Warum braucht es eine Einrichtung wie die ÖGPB?
In einer Demokratie, wo die Herrschaft vom Volk ausgeübt wird, braucht es entsprechende Fertigkeiten, man sollte eigentlich über politische Mechanismen Bescheid wissen. Wie funktioniert Politik? Wo wird sie überall sichtbar? Politik wirkt schließlich in jeden Bereich unseres Alltags hinein. Das ist oftmals überhaupt nicht bewusst. Es gibt also für unsere Einrichtung sehr viel zu tun. Was ein politisches Grundverständnis angeht, bestehen nämlich wirkliche Defizite in weiten Teilen der Bevölkerung.

Woran liegt das?
Einer der Hauptgründe dafür liegt sicher darin, dass politische Bildung in unseren Schulen nicht wirklich gut verankert ist. Es gab gewisse erfreuliche Entwicklungen in diesem Bereich, aber politische Bildung müsste eigentlich ein eigenes Fach sein und viel umfassender vermittelt werden.

Aber auch in der Erwachsenenbildung bräuchte die politische Bildung einen höheren Stellenwert. Da fehlen vielfach die Mittel und auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit. Der politischen Bildung wird auf weiten Strecken einfach nach wie vor zu wenig Bedeutung beigemessen.

Das heißt, Österreich ist in Sachen politische Bildung quasi ein Entwicklungsland?
Sagen wir so: Es gibt viel Luft nach oben – speziell im formalen und non-formalen Bereich. Selbstverständlich passiert politische Bildung vielfach informell und es gibt durchaus gut informierte Menschen, die sich regelmäßig mit politischen Themen und Entwicklungen auseinandersetzen. Aber es braucht einfach auch dieses grundlegende Verständnis von Politik für die breitere Bevölkerung.

Wonach orientieren sich Ihrer Meinung nach die Österreicherinnen und Österreicher, wenn sie politische Entscheidungen treffen?
Das verläuft zum einen wohl sehr banal – man orientiert sich an dem, was einen im Alltag direkt betrifft und entsprechend Emotionen weckt: Preissteigerungen, Tempolimits, Verbrennungsmotoren, Spitalsstandorte usw. Dann spielen natürlich die jeweiligen Weltanschauungen, die ideologischen Grundeinstellungen eine große Rolle. Oder man bewertet die Realpolitik: Was macht „die Politik“ gerade? Gefällt mir das oder gefällt es mir nicht.

Was kann eine Einrichtung wie die ÖGPB dahingehend bewirken?
Was wir nicht machen, ist Wahlempfehlungen abzugeben oder bei Wahlentscheidungen zu helfen. Wir konzentrieren uns auf die Mechanismen und die Funktionsweisen von Politik – und bringen diese den Menschen näher. Unsere Hauptzielgruppe sind Personen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind; wir setzen also auf den Multiplikationseffekt und machen Veranstaltungen wie etwa das „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“.

Wie kann politisches Interesse bei den Menschen geweckt werden?
Da gibt es viele Möglichkeiten – auch abseits von klassischen Formaten. Die werden ohnehin oft eher von jenen Menschen besucht, die bereits Interesse haben. Man kann aber über andere Formate und andere Lernorte Neugier wecken, politische Themen transportieren und diskutieren. Man kann Formate und Themen verknüpfen; zum Beispiel mit einem Kunstevent. Wichtig ist, dorthin zu gehen, wo sich die Menschen bereits aufhalten.

Was beschäftigt Sie im Zusammenhang mit politischer Bildung zurzeit besonders?
Unter anderem die verstärkte Verlagerung von Öffentlichkeit und auch von Bildungsprozessen in den digitalen Raum: zunehmende Informationsweitergabe in Echokammern mit erhöhten Emotionalitäten, schwindender Face-to-Face-Austausch, was auch weitreichende Folgen für die Planung politischer Bildungsveranstaltungen hat – das sind Entwicklungen, die mir zu denken geben. Aber auch generell der Zustand der Welt und bedrohliche politische Entwicklungen.

Wie sehen Sie den Stellenwert der Erwachsenenbildung generell?
Ich glaube, der ist sehr hoch. Weiterbildung ist vielen wichtig, am Interesse mangelt es nicht. Aber wenn es um die Ressourcen für Erwachsenenbildung geht, um die Bedeutung, die ihr etwa bildungspolitisch eingeräumt wird, ist der Stellenwert nach wie vor zu gering.

Wie wird sich die Erwachsenenbildung rund um Social Media und Künstliche Intelligenz künftig entwickeln?
Ich kann mir vorstellen, dass es zum einen ähnlich sein wird wie beim Buchmarkt; den sagt man schon lange tot und dennoch ist die Nachfrage ungebrochen – ähnlich bei den Printmedien. Klassische Bildungsformate werden wohl ebenfalls nicht verschwinden trotz der Flut online verfügbaren Wissens. Das Physische, das Gemeinsam-an-einem-Ort-Sein ist für Bildungsprozesse sehr förderlich und unersetzbar. Gegen diese Form von Erleben und Erfahren mit dem ganzen Körper kommt das Virtuelle nicht an. Ich halte es durchaus für möglich, dass es da sogar wieder zu einer Trendumkehr kommt. Nicht zuletzt, weil sich ja auch bereits eine gewisse Onlinemüdigkeit zeigt. Der zunehmende Einsatz Künstlicher Intelligenz wird sicherlich für die Konzeption von Bildungsangeboten, inhaltlich und v. a. didaktisch faszinierende neue Möglichkeiten eröffnen und vieles vereinfachen. Die Herausforderungen hinsichtlich Faktizität werden aber auch enorm werden.

Die Erwachsenenbildung hat bei Menschen, Medien, Politik, mitunter sehr um Aufmerksamkeit zu kämpfen. Warum?
Bildung hat keinen Event-Charakter, da fehlt das Spektakuläre, Sensationelle, Tagesaktuelle. Bildung passiert langfristig, prozesshaft, da geschieht wichtige Basisarbeit. Das lässt sich beispielsweise mit einer Medienlogik schwer vereinbaren.

Wie wichtig ist Ihnen Ihre persönliche Weiterbildung?
Sehr. Ich bin, wie gesagt, ein richtiger Weiterbildungs-Junkie. Vor allem im Rahmen meiner therapeutischen Tätigkeit mache ich laufend Weiterbildungen; etwa jetzt gerade zu „Somatic Experiencing“.

Was würden Sie gerne können?
Ich habe mir schon lange einmal versprochen, den Motorradführerschein zu machen. Aber angesichts des momentanen Zustands der Welt werde ich es wohl besser beim Versprechen belassen.

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Weiterführende Informationen

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