Jour fixe der politischen Erwachsenenbildung
VertreterInnen der steirischen Erwachsenenbildung trafen sich Anfang Oktober zum „Jour fixe der politischen Erwachsenenbildung“. Ziel der Veranstaltung, die in Kooperation mit der Volkshochschule Steiermark und dem Bildungsnetzwerk Steiermark von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) angeboten wurde, ist es in erster Linie, Menschen aus der politischen Erwachsenenbildung zu vernetzen und einen moderierten Austausch über Inhalte und Formate zu führen sowie aktuelle Herausforderungen zu diskutieren.
Dafür waren Rahel Baumgartner, Sonja Luksik und Hakan Gürses, das Team der ÖGPB ins VHS AK-Bildungszentrum nach Graz gekommen. Dieses Veranstaltungsformat wurde erstmals in Graz – damals in Kooperation mit der Urania und dem Bildungsnetzwerk – gestartet und ist seither in den meisten Bundesländen bereits erfolgreich gelaufen.
Hakan Gürses startete die Veranstaltung mit einem kurzen Rückblick auf die Arbeit der Österreichischen Gesellschaft für politische Bildung, die 1977 als erste diesbezügliche Fachorganisation in Österreich gegründet wurde sowie auf die Entwicklung der politischen Erwachsenenbildung im Allgemeinen. Dabei erörterte er unter anderem die Frage: Wie lernt man Politik? Sein Fazit: „Man lernt Politik so, wie man eine Sprache lernt. Es gibt (wie beim Spracherlernen) verschiedene Wege: zuerst die Grammatik oder durch direkte Begegnung mit dem Idiom etc. Im Falle der politischen Erwachsenenbildung kann man wohl von einer ‚Herzensbildung‘ sprechen.“ Gürses unterstrich zudem, dass politische Bildung ein langer Prozess sei – sie könne nicht als „Feuerwehr“ fungieren. Der Gegenstand der politischen Bildung sei das Politische, und das gehe über die Parteipolitik weit hinaus. „Deshalb arbeiten wir in der politischen Bildung auch nicht gegen eine Partei – wir arbeiten im Sinne der Demokratie. Alles andere wäre Indoktrination oder Propaganda. Politische Bildung und Demokratie haben eine starke Verbindung. Aber ich betone immer wieder, dass politische Bildung mehr ist als bloße Demokratiebildung“, so der Erwachsenenbildner und Philosoph.
Eine wesentliche Aufgabe der politischen Bildung sei es laut Gürses, die politische Aktualität im Auge zu behalten: „Besonders jetzt, wo in Österreich gerade mehrere Wahlen stattfinden, ist es wichtig, die Wahlergebnisse zu beleuchten und die Hintergründe zu verstehen.“
Aktuelle Herausforderungen
Diskutiert wurden vor allem die wachsenden Mischformen politischer Systeme, die derzeit weltweit in vielen Regierungen sichtbar werden – also Demokratien mit starken Tendenzen zu Autoritarismus und Einschränkung der Freiheitsrechte – wie es sich beispielsweise gerade in Ungarns „illiberaler Demokratie“ zeigt. Solche Mischformen würden sich vor allem seit der Corona-Pandemie vermehrt entwickeln. Gürses: „Viele Menschen hatten mit den Maßnahmen Probleme; nach dem Motto: Ich lasse mir vom Staat nicht diktieren, ob ich eine Maske trage oder zuhause bleibe. Dieser Ausnahmezustand, den es rund um die Pandemie gegeben hat, ist also auch demokratiepolitisch relevant und entscheidend. Das zeigen nicht zuletzt aktuelle Wahlanalysen – dort wo die Impfquoten niedrig sind, hat die Partei, die sich ausdrücklich gegen die Impfung einsetzt, deutliche Zugewinne verzeichnet.“
Neben dieser autoritären Wende wurden aber auch die Kriegsschauplätze, die Klimakrise, sowie die Themen Flucht, Migration, Terror und Diversität als besonders aktuelle Herausforderungen diskutiert.
Wie soll und kann man politische Bildung gestalten?
Dahingehend wurden zwei Leitbilder erläutert. Zum einen der „Beutelsbacher Konsens“ aus dem Jahre 1977, der das Überwältigungsverbot als oberstes Gebot ausweist. Heißt: Man darf die eigene politische Gesinnung nicht anderen aufzwingen. Das wäre Indoktrination. Verdeutlicht wurde das mit einem praktischen Beispiel: Ist jemand gegen die Coronaimpfung, darf er im Kurs nicht pauschal als „Schwurbler“ hingestellt werden. So wäre politische Bildung falsch – eine Indoktrination.
Richtig wäre vielmehr: Was in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, soll auch in der politischen Bildung kontrovers dargestellt werden. Es gilt also grundlegend, keine überwältigenden Behauptungen zu machen. Es ist im Rahmen der politischen Bildung anzustreben, so der Beutelsbacher Konsens weiter, Menschen zu befähigen, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.
Als zweites und weitaus jüngeres Leitbild wurde die „Frankfurter Erklärung“ (2015) vorgestellt, die folgende Schwerpunkte umfasst: Krisen verstehen, Kontroversität, Machtkritik, Reflexivität, Politische Bildung als Ermutigung und Veränderung.
Diverse Gesellschaft braucht neue Formate
Als die politische Bildung in der Nachkriegszeit in Deutschland entstanden ist, gab es dafür eine klare Zielgruppe – die vom Nationalsozialismus indoktrinierten Menschen. Auftrag an die politische Bildung war es, der Nation die Demokratie zu vermitteln. Heute ist die Gesellschaft viel diverser, es gibt viele soziale Gruppen, die alle ihre speziellen Forderungen haben. Damit reichen diese zwei Leitbilder nicht mehr, um der diversen Gesellschaft gerecht zu werden. Die Gestaltung von Veranstaltungen der politischen Bildung muss also neu gedacht werden, um die Menschen zu erreichen.
Zielgruppe und Freiwilligkeit verstärkt im Fokus haben
Bei der Frage wie Menschen zu erreichen sind, wurde allen voran das Thema konkreter Zielgruppen diskutiert. Weil, so die ÖGPB-ReferentInnen, es oft am Wissen um die Zielgruppe und um den spezifischen Zugang zu diesem fehle. Vielfach gelebte Praxis sei: Es wird eine Einladung verschickt – mit dem Wunsch, die Veranstaltung zu besuchen. Gürses: „Wir gehen einfach davon aus, dass das, was uns interessiert, auch andere interessiert. Das ist aber nicht immer so.“
In der Erwachsenenbildung sei die Zielgruppe vor allem auch deshalb so zentral, weil man es mit einer Gruppe von Menschen zu tun hat, die nicht verpflichtet werden, also staatlich von „oben“ gebildet wird, sondern die Erwachsenenbildung historisch eine Bewegung von „unten“ darstellt – Personen, die sich (weiter)bilden wollen. Empfehlung der ÖGPB-ExpertInnen: Den Aspekt der Freiwilligkeit wieder stärker berücksichtigen. Die Erwachsenenbildung müsse sich intensiver mit Themen wie Bildungsinteresse, Erwartungen, Lernmotiven, Lernbarrieren beschäftigen und sich an diese Bedürfnisse anpassen. Das gelte natürlich auch für die politische Bildung – sie müsse sich verstärkt an Zielgruppen orientieren.
Vorschläge angesichts der aktuellen Herausforderungen
+ Globaler Blick – über den nationalstaatlichen Tellerrand hinaus
+ Darstellung politischer Systeme lediglich durch Gegenüberstellung von Diktatur und Demokratie ist problematisch – es gibt vermehrt Zwischenformen; dieses System der „illiberalen Demokratie“ muss die politische Bildung verständlich machen
+ Lebensweltliche Themen aufgreifen und bewusst machen, wie Politik in unseren Alltag hineinreicht. Dort ansetzen, wo Menschen ihre Bedürfnisse haben. Das heißt: Ort, Zeit, Angebot anpassen!
+ Verankerung der politischen Bildung in der Schule - dann würde sich auch die Erwachsenenbildung in der Folge leichter tun
+ Aktuell sieht sich die politische Bildung im Spannungsfeld zwischen Emokratie (Populismus/Emotion; Wortbildung von Thomas Hofer) und Epistokratie (Expertenwissen, Wortbildung von Jason Brennan). Zwischen diesen extremen Positionen muss die politische Bildung arbeiten und sich einen Mittelweg suchen.
Methoden und Formate, die sich in der politischen Bildung bewähren
Die ÖGPB-ReferentInnen diskutierten mit den TeilnehmerInnen darüber, welche Methoden und Formate die Trägerorganisationen für ihre verschiedenen Zielgruppen verwenden. Dabei zeigte sich, dass ein breiter Bogen zum Einsatz kommt, der sich von Großgruppenformaten wie World Café, Open Space oder Zukunftswerkstatt bis zu Stadtspaziergängen, Schnitzeljagden und Podcasts aber auch Salon-, Kamin- und Küchengesprächen sowie gemeinsamem Lesen und Reisen spannt. Das Radio wurde als unterschätzte und fast vergessene, aber sehr wirkungsvolle Lernform angesprochen. Sehr bewähren würden sich die jeweiligen Lebenswelten der Menschen – also dort hingehen, wo die Leute leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen.
Die ÖGPB-Referentin Sonja Luksik stellte folglich fünf der häufig eingesetzten Methoden in der politischen Bildung vor: Rollenspiel/Simulation, Aufstellung, Biografiearbeit, Planspiel und Forumtheater. Präsentiert wurden auch zwölf Grundsituationen des Lernens in der politischen Bildung (Wolfgang Sander: Politik entdecken – Freiheit leben, 2001: 88 ff):
1. Recherchieren: sich aus Quellen über Politik informieren
2. Miteinander reden: in Gesprächen mit anderen Wissen austauschen
3. Etwas darstellen: anderen etwas über Politik präsentieren
4. Aktives Zuhören: sich mit dem, was andere über Politik präsentieren, gedanklich auseinandersetzen und daraus Informationen entnehmen
5. Etwas herstellen: ein Produkt, in dem sich die Resultate des Lernens dokumentieren
6. Veranschaulichen: abstrakte Zusammenhänge anschaulich machen
7. Erforschen: politisch bedeutsame Situationen selbst erforschen
8. Probehandeln: politisch bedeutsame Situationen simulieren
9. Üben und wiederholen: erworbene Kompetenzen und neu erlerntes Wissen dadurch besser behalten und für sich nutzen
10. Anwenden: Kompetenzen und Wissen in neuen Situationen anwenden und somit besser nutzen und verbessern
11. Feedback und Evaluation: durch qualifizierte Rückmeldungen das eigene Lernen verbessern
12. Selbstreflexion: Wissen über das eigene Wissen und Lernen gewinnen und so das eigene Lernen bewusst steuern.
Weiterführende Informationen
Buchempfehlung: Basics – Inhalte und Methoden der politischen Erwachsenenbildung (e-book PDF) >
Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung
+43 1 504 68 58 | gesellschaft@politischebildung.at | https://politischebildung.at
Für Rückfragen zur Kooperationsveranstaltung können Sie sich gerne an uns wenden:
Eine Veranstaltung der ÖGPB in Kooperation mit dem Referat Familie, Erwachsenenbildung und Frauen, Abteilung 6 Bildung und Gesellschaft, Fachabteilung Gesellschaft, dem Bildungsnetzwerk Steiermark und der Volkshochschule Steiermark.