Mein Wissen gehört der ganzen Welt | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Mein Wissen gehört der ganzen Welt

Für die Musikerin Irma Servatius ist Bildung ein Lebenselixier. Ihr angehäuftes Wissen stellt die Vierzigjährige gerne auch anderen zur Verfügung. Als begeisterte Wikipedianerin ist es ihr vor allem ein Anliegen, Frauen sichtbar zu machen und zu ermutigen, im Alltag ihre Expertin zu stehen.

Irma Servatius © andrii.ilchuk photoraphy

Sie besuchen regelmäßig die Veranstaltung TypIn*frauen*schreiben*wiki im Verein nowa. Wie sind Sie auf dieses spezielle Angebot der Erwachsenenbildung gekommen?
Ich beschäftige mich schon länger mit Wikipedia und bin auch schon lange aktive Mitarbeiterin – also ich adde regelmäßig. Aber eben von zuhause aus und alleine. Über eine Freundin ist dann Valentina Pettinger, Geschäftsführerin bei nowa, auf mich aufmerksam geworden. Sie hat mich gefragt, ob ich das nicht auch in der Gruppe machen möchte. Und so bin ich eigentlich schon von Beginn dieser Veranstaltung an dabei.

Was hat Sie letztlich dazu bewogen, in der Gruppe für Wikipedia aktiv zu werden?
Naja – es ist schon eine sehr einsame Arbeit. Man schaut, man liest, man sieht Fehler oder Lücken und versucht das zu beheben. Man sitzt also alleine vor seinem Computer und arbeitet vor sich hin. In der Gruppe hat das eine ganz andere Dynamik – da kommt natürlich auch viel Austausch dazu.

Was motiviert Sie, Wissen und Zeit für Wikipedia zur Verfügung zu stellen?
Grundsätzlich was alle WikipedianerInnen motiviert – ich möchte mein Wissen mit der Welt teilen. Und ich möchte vor allem auch dazu beitragen, dass Frauen auf Wikipedia sichtbarer werden. Was die Veranstaltung bei nowa angeht: Ich wurde, wie gesagt, gefragt und habe aus Neugier ja gesagt – nachdem ich diese Sache sowieso mache. In der Gruppe aktiv zu sein, war dann tatsächlich eine ganz spezielle Erfahrung. Außerdem will ich auch anderen vermitteln, wie wichtig es ist, sein Wissen zu teilen. Wenn Anfängerinnen bei einem Treffen sind, gebe ich ihnen Informationen hinsichtlich der Arbeit für Wikipedia weiter und biete ihnen Werkzeuge an, damit auch sie das ihrerseits machen können. Das hat einen wunderbaren und wichtigen Multiplikationseffekt.

Dass ich mich überhaupt so intensiv mit Wikipedia zu beschäftigen begonnen habe, hat mit mir als Musikerin zu tun. Zu Beethoven gibt es beispielsweise abertausende Bücher und Einträge – bei einem unbekannteren Musiker gibt es weniger, bei manchen gar nichts. Wenn man jemanden jedoch nicht auf Wikipedia findet, glauben die Leute, dass diese Person nicht wichtig ist – oder wissen schlimmstenfalls gar nicht, dass es sie gibt. Mein allererster Eintrag war zu einem Grazer Komponisten gemacht, und war nach 24 Stunden wieder gelöscht, weil er als nicht „relevant“ gewertet wurde. Das war frustrierend und ich habe daraufhin lange Zeit nichts mehr gemacht. Mit der Zeit habe ich mich der Arbeit aber doch wieder genähert und auch einige Tricks gelernt – jetzt steht dieser Artikel über den Grazer Komponisten letztlich doch fix auf Wikipedia. Man darf den Kampf nie aufgeben: besonders wenn man für diejenigen ohne Stimme kämpft.

Wie erleben Sie die Bildungsveranstaltung – was gefällt Ihnen besonders daran? Was wird konkret gemacht, worüber wird diskutiert?
Nowa stellt Computer und technisches Wissen zur Verfügung. Es werden technische Fragen zur Wikipedia-Bearbeitung beantwortet. Die Frauen bringen ihre Expertise selbst ein und lernen während des Zusammenseins, wie sie dieses Wissen öffentlich machen können. Es wird bewusst gemacht, dass jede und jeder hier seinen Beitrag leisten kann. Dass Wikipedia wirklich für jede und jeden frei zugänglich ist. Der Frauenaspekt spielt dabei eine zentrale Rolle, schließlich zeigt sich auf Wiki ein klarer Gender-Gap. Daher ist es wichtig zu vermitteln, dass Frauen nicht zuletzt auch deshalb weniger präsent sind, weil sie nicht aktiv sind und weniger Einträge machen. Das trägt dazu bei, dass Wikipedia ein tendenziell männliches Weltbild vermittelt. Frauen sind eindeutig weniger präsent.

Bei der Veranstaltung wird zudem auch auf so Grundsätze aufmerksam gemacht wie: Männer sehen sich rasch einmal als Experten. Frauen sind hingegen zurückhaltender, tasten sich langsam vor -­ und sobald jemand sagt, etwas könnte anders sein, zweifeln sie. Da braucht es Empowerment – auch das ist ein wichtiger Bestandteil der monatlichen Treffen.

Wie läuft so ein Frauen-schreiben-wiki-Abend ab?
Wir treffen einander einmal im Monat, jeden ersten Donnerstag. Anfangs gibt es meist viele Fragen. Etwa: Darf ich bei Wiki eine Meinung zu einem Eintrag dazufügen? Nein, darf man nicht! Oder: Wie macht man generell einen Eintrag? Warum wurde etwas gelöscht? Wir lernen Sätze so zu verändern, dass man die Meinung rausnimmt und das Faktum reinbringt. Das Arbeiten in der Gruppe erweist sich dabei als sehr angenehm, die Leute sind nett, die Atmosphäre ist gut.

Wir schauen auch, dass wir motivierte Frauen finden und ihnen Mut geben mitzumachen. Dabei wird vor allem vermittelt, dass auch die kleinen Sachen sehr sehr wichtig sind. Es geht nicht nur um ganz große Beiträge. Die kleinen Bewegungen machen das Große ja schließlich aus – das sieht man bei diesen Treffen ganz eindeutig. Oft ist es so, dass manche so in die Sache vertieft sind, so viel Spaß daran haben, dass sie gar nicht aufhören wollen. Das wirkt ansteckend, motiviert wieder zu kommen und auch andere zu animieren. Alles in allem sind das voll schöne Abende – sieben oder acht Frauen, jede mit komplett anderem Hintergrund und anderen Interessen, aber jede von ihnen hat etwas, von dem sie überzeugt ist, es mit der gesamten Welt teilen zu wollen.

Warum halten Sie eine solche Veranstaltung für wichtig?
Weil sonst Wikipedia immer nur von denselben Menschen verändert wird. Die Vielfalt ist wichtig, damit Wiki lebt, sich ständig verändert, breit und aktuell bleibt. Wenn möglichst viele sich da beteiligen, hat Wiki insgesamt gewonnen. Es ist also ein großes Anliegen von uns Wikipedianern, dass möglichst viele mitarbeiten. In der Wikipedia gab es nie ein Frauenverbot. Jede durfte immer mitmachen, sogar anonym. Trotzdem ist dieser bereits erwähnte Gendergap vorhanden, und wir müssen alle daran arbeiten, ihn zu schließen!

Und: Unsere Welt hat sehr viele Daten und viele Medien, aber es geht dennoch sehr viel Wissen verloren. Je mehr man davon bewahren kann, umso besser. Durch diese Veranstaltung werden Frauen außerdem generell animiert, Frauen sichtbarer zu machen.

Die Teilnahme ist auch online möglich – welche Vor- oder Nachteile sehen Sie darin?
Das ist eine rein praktische Sache; eine zusätzliche Möglichkeit, die TeilnehmerInnenzahl zu erhöhen – und das Online-Angebot wird auch sehr gut angenommen. Wir haben da beispielsweise auch eine Frau aus Wien, die online zu uns in die Gruppe kommt.

Wer kommt zu diesen Bildungsangeboten?
Unterschiedlichste Menschen, die ein konkretes Anliegen und/oder generell Interesse an der Sache haben. Manche kommen auch ganz ohne Vorstellung, da wird dann einfach gefragt: Was hast du in Wiki Falsches gesehen? Wo siehst du Lücken usw.? Es nehmen auch wirklich alle Altersschichten teil und jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer hat andere Interessen, das reicht von Wissenschaft über Geschichte und Kunst bis zu Sport und Celebrities. Kürzlich war eine Dame bei uns, die vergebens auf Wiki eine Autorin gesucht hat, obwohl diese einen sehr renommierten Preis gewonnen hat – sie wurde dann mit Unterstützung der Gruppe gleich auf Wiki gestellt.

Wie sehr spielt die Künstliche Intelligenz in Zusammenhang mit Wikipedia eine Rolle?
Die KI hat von Wiki gelernt und wird großteils von ihr gefüttert. Das Wissen, das die WikipedianerInnen zur Verfügung stellen, war nie dafür gedacht KI zu füttern. Das ist ein riesiges Problem – und momentan ohne Lösung. Die KI stellt sich ja nie selbst Fragen. Wissen und Bildung gehören zusammen, sind aber nicht dasselbe. Im idealen Fall stärken sie sich gegenseitig und bauen aufeinander auf. Die KI kann sich im Gegensatz dazu nicht „bilden“ und besitzt auch kein echtes „Wissen“. Wir Menschen jedoch schon. Deshalb ist es in der jetzigen Zeit wichtiger denn je, sich selbst zu bilden und Antworten zu finden, die weitere Fragen öffnen.

Können Sie eine Wirkung Ihres Engagements erkennen?
Auf alle Fälle! Unsere Arbeit macht Frauen sichtbarer. Sobald eine Frau eine Wiki-Seite bekommt oder ihr Leben um wichtige Fakten ergänzt wird, macht man eine weitere Facette auf und die Frau wird präsenter und bedeutender. Und Frauen, die bei uns waren, sind motiviert und ermutigt, das auch allein weiterzumachen. Man darf Mini-Expertin und große Expertin sein – und das nicht nur, was Wiki-Einträge angeht. „Frau“ darf und soll das dann durchaus auch in ihrem Alltag leben.

Was würden Sie sich hinsichtlich Sichtbarkeit von Frauen wünschen?
Alles, das man sich dahingehend nur wünschen kann! Ich wünsche mir vor allem eine selbstverständliche Gleichberechtigung und nicht eine hart erkämpfte. Meine Mutter ist eine tolle Mathematikerin – die nebenbei sieben Kinder hatte – mit einer Wiki-Seite! Heute! Für ihr Mathematik-Studium wurde sie einst gesellschaftlich gezwungen in die USA auswandern.

Warum würden Sie dieses nowa-Angebot weiterempfehlen?
Ich glaube, dass durch dieses Empowerment in der Gruppe sehr viel weitergegeben und weitergebracht wird. Wenn ich eine Frau ermutige, selbstbewusst in ihrer Expertise zu sein, kann und soll das diese Frau auch bei einer anderen machen. Das ist ein wunderbarer Schneeballeffekt – der Frauen stärkt und für Vielfalt sorgt.

Wie profitieren Sie für Ihr Leben, Ihren Alltag von dem, was Sie in dieser Veranstaltung lernen?
Das Teilen von Wissen mit Mitmenschen gehört einfach zu meinem Leben dazu. Wie Müll von der Straße selber aufzuklauben. Entweder fühlt man sich für die Stadt teilweise selbst verantwortlich, oder man sagt: Ich zahle sowieso Steuern, also sollte das jemand anderer machen. Ich mag dieses „hands off“ einfach nicht! Die Wiki-Abende in der Nowa bringen uns immer ein Stück näher in Richtung selbstständiger Verantwortlichkeit.

Wie wichtig ist Ihnen Weiterbildung generell?
Extremst! Ich glaube, es gibt überhaupt nichts Wichtigeres!

Welche Bildungsveranstaltungen haben Sie da bereits besucht?
Ich bin immer am Weiterbilden. Egal, ob es im Zusammenhang mit meiner Musik ist oder ob ich einen Kurs bei der Arbeiterkammer mache, ob etwas Künstlerisches mit Keramik oder auch einfach Yoga, da bin ich laufend in irgendeiner Form aktiv.

Was steht auf dem Plan?
Grundsätzlich engagieren mein Mann, Brian Roberts, und ich uns sehr im Bereich Bildung, Kunst und Kultur. Deswegen sind wir vor zehn Jahren eigentlich von Boston nach Graz, in die Heimatstadt meiner Mutter, gekommen. Aber ehrlich gesagt sind wir jetzt ein bisschen enttäuscht darüber, wie sich das Ganze gesellschaftlich gerade entwickelt – vor allem, was Einsparungen und Kürzungen rund um Bildung und Kultur angeht. Jetzt entwickeln wir gemeinsam eine Community rund um die Volkstanzart „Contra Dancing“, die sehr schnell wächst. Graz hat offenbar ein großes Bedürfnis und braucht solche Gelegenheiten, um offen miteinander in einer Gruppe zu tanzen. Wir machen das selbstständig, denn die Stadt trägt nichts dazu bei.

Was würde Sie motivieren, noch öfter an Weiterbildungen teilzunehmen?
Der Bildungshunger kommt von innen, da braucht es keine motivierenden Faktoren von außen. Wenn ich etwas nicht weiß, dann will ich es wissen. Und was ich gerade wissen will, wo besonderes Interesse besteht, was mich beschäftigt, da gehe ich dann hin – da mache ich etwas, da vertiefe ich mich. Inspiriert werde ich am meisten in der freien Kunstszene. Man sieht, was andere schaffen, und bekommt Lust, es selbst auszuprobieren.

Wie schätzen Sie den Stellenwert der Erwachsenenbildung in unserer Gesellschaft generell ein?
Als nicht besonders gut. Ich glaube, wenn es nicht mit einem wirtschaftlichen Grund zusammenhängt, dann wird es gesellschaftlich nicht geschätzt. Alles muss ökonomisch und rentabel sein, dann hat es Wert – ich halte das für grundlegend falsch. In Österreich ist es außerdem immer höchst wichtig, etwas vorweisen zu können – also ein Studium, einen Lehrgang oder so. Es müsste auch reichen, dass man einfach etwas kann, egal ob fotografieren, schreiben, verkaufen.
Meine Kinder sehen zum Glück, dass ich laufend lerne, dass ich quasi noch immer in die Schule gehe. Das ist für mich Erwachsenenbildung!

Gibt es etwas, dass Sie gerne können würden?
Ich möchte alles können! Es gibt nichts, was ich nicht wissen will! Konkret wäre das etwa der Umgang mit Holz. Ich würde wirklich gerne gut mit Holz arbeiten können. Das ist aber eben nur eine Frage der Übung und Erfahrung. Denn ich glaube, dass grundsätzlich jeder alles lernen kann.

Bildung wirkt … wie das Schneiden von Facetten – je vielseitiger, desto brillanter!

Weiterführende Informationen

Im Weiterbildungsnavi Steiermark finden Sie tausende Bildungsangebote zu unterschiedlichen Themen. Es ist bestimmt auch etwas für Sie dabei! Hier gibt es auch Informationen zu den aktuellen Bildungsangeboten von nowa und den Themenbereichen Gender, Politische Bildung, Wissenschaft, Gesellschafts- und Sozialwissenschaft sowie zu Kunst und Kultur.

Und wenn Sie noch nicht ganz wissen, welche Chancen es für Sie im Bildungskontext gibt: Information und Beratung zu allen Fragen der Aus- und Weiterbildung für Erwachsene erhalten Sie im Bildungsnetzwerk Steiermark anbieterneutral und kostenlos:

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