Bildungsarbeit ist immer auch Friedensarbeit | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Bildungsarbeit ist immer auch Friedensarbeit

Anna Thaller ist gelernte Agrarpädagogin, seit zehn Jahren Direktorin des Bildungshauses Schloss St. Martin, leidenschaftliche Friedensstifterin und Schmuckkünstlerin.

Anna Thaller (Foto © St. Martin)

Sie sind seit 2013 Direktorin im Bildungshaus Schloss St. Martin. Welche Bildungs-, Weiterbildungs- und Karrierewege haben Sie dort hingeführt?
Ich bin gelernte Agrarpädagogin, habe jahrelang unterrichtet und nebenbei die Meisterklasse an der Ortweinschule in Graz absolviert. Unter anderem habe ich auch die Aus- und Weiterbildung für die Agrarpädagog*innen in der Steiermark geleitet – all das waren Stationen auf meinem Weg ins Bildungshaus.

Sie haben ja erst kürzlich einen weiteren Karrieresprung gemacht – Sie sind nun auch, als erst zweite Frau, Vorsitzende der ARGE Bildungshäuser Österreich. Was bedeutet Ihnen das?
Die wunderbare Möglichkeit beizutragen, dass die Erwachsenenbildung in Österreich jenen Stellenwert erhält, den sie braucht und verdient. Bildungshäuser sind für mich vor allem wichtige Begegnungszonen, wo Friedensarbeit geleistet wird. Bildung trägt ganz wesentlich dazu bei, Frieden zu sichern – weil sie hilft, eine Haltung zu entwickeln, die ein sinnstiftendes Miteinander entwickelt. Ganz wesentlich sind dabei eben diese Dialogräume.

Ob TrainerInnen oder TeilnehmerInnen, die Erwachsenenbildung ist grundsätzlich eher weiblich – auf der Führungsebene schaut das allerdings anders aus. Wie sehen Sie da Ihre Rolle als Direktorin?
Es ist ein altes aber vielfach nach wie vor bestehendes Muster, dass Männer die Chefs und Frauen die Arbeitenden sind. Das gilt es weiter aufzubrechen. Ich bin hier im Schloss St. Martin nach beinahe 1000 Jahren Priester- und Männerherrschaft die erste Frau in der Gesamtverantwortung – das ehrt mich und macht mich stolz. Das fordert und motiviert mich aber auch dahingehend, dazu beizutragen, dass weibliche und männliche Fähigkeiten sich gut verbinden – und das in gegenseitiger Wertschätzung. Es braucht immer beides.

Sie haben ein Sabbatical hinter sich. Als wie wichtig erachten Sie es, auch als Führungsperson loslassen zu können und sich eine Auszeit zu nehmen?
Das halte ich für ganz, ganz wesentlich! Es ermöglicht mir, einen neuen Blickwinkel zu gewinnen und es gibt jungen Leuten die Chance, sich in der Führung zu versuchen und zu erproben. Für mich persönlich war dieses Jahr aber auch Erholung, Kunstraum und Freiraum. Ich bin meiner Leidenschaft als Schmuckkünstlerin nachgegangen – das war ein wunderbarer Ausgleich. Auch das Loslassenkönnen war dahingehend ein wichtiger Aspekt und eine wertvolle Erfahrung. Ein Sabbatical ist ein wichtiger und wertvoller Inspirationsraum.

Im Bildungshaus Schloss St. Martin hat es heuer im Juli eine sehr erfolgreiche „Singwoche“ gegeben. Vielen erschließt sich nicht, worin im Singen der bildende Aspekt liegt. Wie erklären Sie ihn?
Singen ist etwas Ganzheitliches, von dem man in vielerlei Hinsicht profitiert. Singen ist Körperarbeit; man bringt damit das ureigenste „Instrument“ zum Klingen. Singen ist aber auch Dialogarbeit, weil man auf den anderen hören und sich im wahrsten Sinne des Wortes mit ihm abstimmen muss. Es ist aber auch eine kognitive Leistung, weil beim Singen viele Gehirnregionen gefordert werden. Bei unserer St. Martiner Singwoche kommen dann auch noch die Atelierarbeit und das gemeinsame Wohnen und Essen dazu – es gibt also auch einen sozial verbindenden Charakter. Und gerade dieses „How will we live together?“ ist ja die Essenz unserer Bildungsarbeit. Singen im Chor ist ein Gesamtkunstwerk.

Das Bildungshaus Schloss St. Martin besticht durch ein einzigartiges Ambiente. Als wie wichtig erachten Sie das Umfeld und welche Rolle haben Bildungseinrichtungen in der heutigen Zeit generell – speziell auch angesichts wachsender Online-Angebote?
Unser Haus ist ein Juwel am Stadtrand von Graz und absolut prädestiniert dafür, Bildungs- und Begegungsraum zu sein. Ein Raum wirkt – das sehe ich hier immer wieder. In einem Schloss verhalten sich Menschen ganz automatisch so, wie man sich eben in einem Schloss verhält. Da wird der Raum zum pädagogischen Element – das Schloss generell, aber auch der Garten und die Schlosskirche.

Dennoch sind wir auch digital up to date – haben hier alle technischen Ausstattungen für Online-Seminare und Hybridveranstaltungen. Unsere Salongespräche werden beispielsweise live gestreamt, da haben wir bis zu 100 Livezugriffe und bis zu 700 Zugriffe von Personen, die sich die Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt anhören. Wir haben auch Hybridveranstaltungen, diese Angebote sind zeitgemäß und unverzichtbar.

Die steirischen Erwachsenenbildungseinrichtungen sind vor allem auch aufgrund ihrer guten Netzwerkarbeit so etabliert und stark– wie wichtig sind diese Kooperationen?
Sie sind unersetzbar! Allen voran deswegen, weil wir als starkes Netzwerk nach außen zeigen, wie wesentlich, wie systemrelevant Bildung ist. Netzwerke sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Erwachsenenbildung, denn niemand kocht seine Suppe allein. In den gemeinsamen Settings steckt ja auch ganz viel Inspirationspotenzial; sie sind für uns alle in der Erwachsenenbildung auch ein großes Weiterbildungsforum.

Was sehen Sie als die aktuell größten Herausforderungen in der Erwachsenenbildung?
Die Absicherung der Institutionen, Förderungen durch die öffentliche Hand und das Anbieten der richtigen Formate, damit Bildung wirkt. Eine wichtige aktuelle Herausforderung liegt aber auch darin, das Zusammenleben neu zu stärken, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Der Mensch ist nun einmal ein soziales Wesen – und es geht nur miteinander. Das Gegenteil davon ist Krieg – Krieg ist gegeneinander. Bildung sehe ich als den einzigen Schlüssel in eine demokratische Freiheit.

Was wünschen Sie sich generell für die Erwachsenenbildung?
Mediale Präsenz und Aufmerksamkeit, Wertschätzung für Bildung und unsere Bildungsangebote in der Gesellschaft und finanzielle Ressourcenbereitstellung.

Was wird Ihre nächste Weiterbildungsmaßnahme sein?
Eine Mitarbeiterinformation zum Thema „Feedbackkultur“ mit meinem Team bei uns im Haus und der „Tag der österreichischen Weiterbildung“ in Wien – wo es vor allem um einen Österreich- und Europablick im Bereich der Bildung geht.

Bildung wirkt … wenn das Gelernte in die eigenen Handlungen des Alltags einfließt.

Bildungsnetzwerk Steiermark