Vatersein ist keine Hexerei – das kann man lernen | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Vatersein ist keine Hexerei – das kann man lernen

Julian Anslinger, 35, ist einer von nach wie vor sehr wenigen Vätern in Österreich, die Väterkarenz in Anspruch nehmen. Ihm hat diese Zeit aber nicht nur eine wunderbare Verbindung zu seiner Tochter beschert, sondern auch neue Perspektiven für seinen Beruf und sein gesamtes Leben eröffnet.

Julian Anslinger mit Tochter (Foto © Anslinger)

Wie fühlt sich das Papasein an?
Fantastisch!

Seit wann sind Sie Vater und seit wann in Väterkarenz?
Unsere Tochter ist jetzt 21 Monate alt. Nach ihrem 1. Geburtstag bin ich in Väterkarenz gegangen ­– und ich bin noch bis Ende September maßgeblich daheim.

Wann haben Sie die Entscheidung getroffen, in Väterkarenz zu gehen?
Als der Entschluss gefallen ist, ein Kind zu bekommen war auch gleich klar, dass ich in Karenz gehen werde. Aber es ist mir dann doch nicht ganz leichtgefallen, weil mir das Wissen, es zu können, gefehlt hat. Das hat mich schon etwas verunsichert. Aber ich arbeite ja in der Geschlechterforschung. Da wäre es ziemlich widersprüchlich, sich in der Theorie mit diesem Thema zu beschäftigen und in der Praxis dann nicht in Karenz zu gehen.

Haben sich Ihre Befürchtungen, Kinderbetreuung nicht zu können, bewahrheitet?
Zum Glück nicht! Im Gegenteil: Es ist keine große Hexerei. Erziehungsaufgaben, Pflege und alles, was da eben dazugehört, lassen sich ja erlernen. Darüber hinaus hatte ich das große Glück, viele kompetente Mütter in meinem Umfeld zu haben, von denen ich mir einiges abschauen konnte.

Wie wurde/wird der Umstand, dass Sie Väterkarenz in Anspruch nehmen von ihrem privaten Umfeld aufgenommen?
Das hat niemanden erstaunt – was wohl auch mit meinem Beruf als Psychologe und Wissenschafter mit Fokus auf Geschlechterthemen zu tun hat. Aber in meiner Familie und in der Familie meiner Frau bin ich der einzige Mann, der Väterkarenz beansprucht hat – da war man schon gespannt, wie ich das schaffen werde.

Wie hat die Firma reagiert?
Da war es überhaupt kein Problem! Ich arbeite in einem Bereich, wo das organisatorisch gut geht und wo die Leute diesbezüglich auch vergleichsweise wenige Vorurteile haben.

Wie sehen Sie generell die Stellung von „Vätern in Karenz“ in der Gesellschaft?
Es gibt verschiedene Gründe, warum dieses Thema in der Gesellschaft noch etwas problematisch gesehen wird – etwa finanzielle. Männer verdienen eben meist mehr und bleiben deshalb auch vermehrt im Beruf. Und es gibt auch das große Vorurteil, dass Frauen geeigneter seien, Haus- und Familienarbeit wahrzunehmen. Das bekommt man gesagt, das schreibt man sich aber auch selbst zu.

Was würden Sie einem Mann antworten, der die Meinung vertritt: Karenz ist Frauensache?
Dem würde ich sagen: Pflege- und Erziehungsarbeit ist erlernbar. Darüber hinaus zeigt die Forschung, dass Frauen entgegen der gängigen Meinung nicht über angeborene Merkmale verfügen, die sie zu den fähigeren Elternteilen machen würden. Sie werden zwar unterschiedlich sozialisiert – Haus- und Familienarbeit wird einfach eher den Frauen zugeschrieben. Aber damit wären wir wieder am Beginn: Es ist erlernbar!

Was halten Sie der Aussage „in Karenz zu gehen ist unmännlich“ entgegen?
Es gibt viele verschiedene Spielarten von Männlichkeit, man kann nicht grundsätzlich sagen, was ein „richtiger“ Mann ist. Klar gibt es das gesellschaftliche Bild des stets starken, unemotionalen Mannes. Aber diesem stets entsprechen zu müssen oder stattdessen sozial geächtet zu werden, ist sehr anstrengend für viele Männer. Das trägt sicherlich auch zum vergleichsweise höheren Vorkommen von Sucht und Suiziden unter Männern bei.

Was würden Sie sich diesbezüglich von der Gesellschaft wünschen?
Die Gesellschaft reagiert ja auf Gegebenheiten. Wünschen würde ich mir aber von der Politik, Karenz so auszubauen, dass es sich alle Familien leisten können. Es wäre ebenfalls sinnvoll, konkrete Anreize für Männer zu schaffen, um sie zur Karenz zu ermutigen. Darüber hinaus braucht es eine flächendeckende und leistbare Kinderbetreuung.  Und es gilt, mehr Männer in sogenannte Frauenberufe zu holen. Das wäre sogar recht einfach, wenn man die Arbeit entsprechend entlohnen würde. Die Geschlechterstereotype werden sich dann im Nachhinein ändern – wenn Väterkarenz und Kindergartenpädagogen selbstverständlich sind.

Was ist für Sie die größte Herausforderung am Papasein?
Die größte Herausforderung ist gleichzeitig auch meine größte Lernaufgabe: Die Erfordernis, im Moment zu bleiben. Achtsam zu sein! In meinem Beruf musste ich stets gedanklich schon bei der übernächsten Aufgabe sein. Und: Meine eigenen Bedürfnisse kurzzeitig zurückzustellen, um die Emotionen meiner Tochter gut zu begleiten.

Was ist für Sie das Schönste am Papasein?
Die enge Bindung, die ich zu meiner Tochter entwickelt habe. Meine Frau und ich sind gleichsam Hauptbezugspersonen ­– das ist sehr schön.

Welche neuen Erfahrungen und Erkenntnisse verdanken Sie dem Vatersein?
Die Karenz hat mir persönlich sehr viel gebracht – vor allem einen Perspektivenwechsel und eine Prioritätenverschiebung. Ich habe in der Karenz gemerkt, dass ich in meinem Job nicht mehr glücklich bin und Lust auf etwas Neues habe. Ich hatte Zeit und Möglichkeit zu hinterfragen: Wie möchte ich mein Leben leben? Was ist mir wichtig? Was ist ein gutes Leben?

Welche Bedeutung hat für Sie der Vatertag?
Noch keine! Wir haben als Kinder immer nur den Muttertag gefeiert – wobei ich das immer seltsam fand und deshalb mit meiner eigenen Familie nicht feiern wollte. Als wir unsere Tochter bekommen haben, hat mir meine Frau durch die Blume die Wichtigkeit des Muttertags nahegelegt – und wir haben auch einen sehr schönen Vatertag begangen. Gewöhnt habe ich mich aber nach wie vor nicht ganz daran.

Warum besuchen Sie eine Einrichtung wie das Eltern-Kind-Zentrum?
Nachdem ich Vater war, habe ich mich natürlich dafür interessiert, was es für Väter beziehungsweise Eltern für Angebote gibt. Fünf Tage die Woche mit meiner Tochter allein zu sein – da fällt einem die Decke auf den Kopf. Ich habe also einen Zeitvertreib gesucht – und auch den Kontakt zu anderen Eltern, um mich auszutauschen. Aber auch das dortige Bildungsangebot hat mich angesprochen. Ich habe dann auch Online-Seminare zur Elternbildung besucht.

Welche Angebote waren für Sie besonders hilfreich?
Ich bin großer Fan des Pikler-Spielraums, der einen besonderen Fokus auf kindliche Autonomie und das Selbstwirksamkeitserleben legt. Die Pikler-Pädagogik hat nun einen großen Einfluss darauf, wie ich meine Tochter im Alltag begleite. Auch die Seminare zu Meilensteinen der Entwicklung und Emotionen von Kindern waren sehr spannend.

Warum würden Sie Eltern-Kind-Zentren und Elternbildung generell empfehlen?
Es erleichtert das Leben! Plötzlich Eltern zu sein ist ja nicht leicht und wurde einem nicht in die Wiege gelegt, da kommen ja viele neue Herausforderungen auf einen zu. Aber: man kann es lernen! Man profitiert von den Einrichtungen, den Informationen und dem Austausch.

Väterkarenz tut also Mama, Papa und Kind gut?
Ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass es für uns alle drei ein riesiger Gewinn ist.

Bildung wirkt… weil sie sie einen befähigt, selbstbestimmt zu handeln und Verantwortung zu übernehmen.

Das Interview erschien am 11. Juni 2023 auch in der Woche Steiermark. Vielen Dank an die WOCHE Steiermark für die Berichterstattung und Kooperation!

Weiterführende Informationen

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