Gesundheitskompetenz – ein großes Thema in der Erwachsenenbildung | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Gesundheitskompetenz – ein großes Thema in der Erwachsenenbildung

März 2021

Wir haben mit Jürgen Soffried (IfGP) über Gesundheitskompetenz und die neue Broschüre „Mein Arztgespräch – Fragen und Antworten“, die auch in der Erwachsenenbildung (ältere Menschen, Basisbildung, DaF/DaZ …) sehr gut eingesetzt werden kann, gesprochen.


Dr. Jürgen Soffried, MPH (Public Health Consultant am Institut für Gesundheitsförderung und Prävention GmbH)

Gesundheit ist ein großes, immens breites Themenfeld in der Erwachsenenbildung, was sich auch in einer hohen Anzahl an Bildungsangeboten im Weiterbildungsnavi Steiermark widerspiegelt. Dies und die Bedarfsmeldungen aus dem Netzwerk sind für das Bildungsnetzwerk Steiermark Anlass, das Thema Gesundheit in der Erwachsenenbildung heuer als Schwerpunkt näher zu beleuchten und zu diskutieren (u.a. auch am Tag der Weiterbildung am 28.9.2021 im Steiermarkhof).

Ein Aspekt des Gesundheitsthemas, die Gesundheitskompetenz (die deutsche Übersetzung zu Health Literacy), ist aktuell – und in Zeiten der Pandemie noch einmal verstärkt – in aller Munde.

Lieber Jürgen Soffried, wie erklärst Du die Begrifflichkeit Gesundheitskompetenz?

„Gut informiert entscheiden“ ist aus meiner Sicht die treffendste Umschreibung des Begriffs Gesundheitskompetenz. Denn das ist, worum es am Ende geht – Menschen dabei zu unterstützen, gut informierte Entscheidungen zu treffen. Dabei geht es sowohl um Entscheidungen in der Krankheitsbewältigung, in der Prävention (wie z.B. bei Impfungen) als auch in der Gesundheitsförderung.

Sind Menschen, die sich gesund ernähren und viel Bewegung machen, auf die psychische und soziale Gesundheit achten, besonders gesundheitskompetent?

Vielleicht. Wir können allein vom gesundheitsförderlichen Verhalten einer Person nicht auf deren Gesundheitskompetenz rückschließen. Wir haben zu hinterfragen, ob eine gut informierte Entscheidung Grundlage dieses gesundheitsförderlichen Verhaltens ist. Das Verhalten könnte auch „einfach nur kopiert“ (etwa von Eltern, Peers oder PartnerInnen) sein oder ganz andere Gründe haben … z.B. jemand geht immer zu Fuß in den 10. Stock, weil klaustrophobisch und der Aufzug daher einfach nicht in Frage kommt … zu Fuß gehen wäre zwar gesundheitsförderliches Verhalten, eine gut informierte Entscheidung wurde in diesem Fall aber nicht getroffen.

In Gesundheitskompetenz steckt also weit mehr als klassische Gesundheitserziehung?

Auf jeden Fall! Es geht nicht allein darum zu wissen, was für mich gut oder schlecht ist. Der Apfel ist hui, die Schnitzelsemmel pfui – das greift zu kurz. Es geht darum, neue Fragestellungen selbstorganisiert zu beantworten. Das heißt, es geht um das Informationsmanagement, das vor der gut informierten Entscheidung steht. Für dieses Informationsmanagement braucht es Motivation, Wissen und Fähigkeiten, Informationen zu finden, zu verstehen und zu beurteilen und dann eben im Sinne einer gut informierten Entscheidung anzuwenden. Es geht also zum Beispiel darum, seriöse von tendenziöser Gesundheitsinformation unterscheiden zu lernen und „gute Quellen“ im Internet zu kennen, wenn ich Informationen suche, verstehen und beurteilen will.

Ist die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz auch eine Aufgabe der Erwachsenenbildung?

Ich hoffe, dass die Erwachsenenbildung hier eine Rolle einnimmt, denn die Phalanx jener, die die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken wollen, ist noch recht schmal! Wir brauchen nicht naiv sein – Gesundheitskompetenz ist eine Waffe in den Händen der Menschen, um nicht Opfer von Geschäftemacherei zu werden. Und davon gibt es im Gesundheitsmarkt mehr, als wir brauchen. Gesundheitskompetenz ist also Empowerment – und ich habe schon das Bild, dass TrainerInnen in der Erwachsenenbildung Menschen informieren und ermächtigen bzw. dabei unterstützen, eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Ich denke hier nicht nur explizit an die Stärkung der Gesundheitskompetenz, sondern vor allem auch an Basiskompetenzen wie Lesen, die Voraussetzung für Gesundheitskompetenz sind. Ein Sechstel der Bevölkerung kann nicht sinnerfassend lesen – die sind natürlich besonders oft Opfer von Geschäftemacherei.

Das IfGP hat eben zur Stärkung der Gesundheitskompetenz die Broschüre „Mein Arztgespräch – Fragen und Antworten“ entwickelt für den Gesundheitsfonds Steiermark.

Arztgespräche sind sowohl ein wesentliches Instrument der Informationsbeschaffung als auch ein Moment, in dem Entscheidungen getroffen werden. Die Rolle der ÄrztInnen ist zweifellos eine zentrale. Diese Broschüre unterstützt Patientinnen und Patienten dabei, ihre Rolle im Arztgespräch gut wahrzunehmen und das Gespräch bestmöglich für sich zu nutzen.
Herausfordernde Gespräche verlaufen besser, wenn man sich vorbereitet, vor allem wenn es um Entscheidungen mit oft weitreichenden Auswirkungen geht. In der Broschüre ist auch viel Platz für das Formulieren von Fragen und für Notizen. Antworten und Vereinbartes schriftlich festzuhalten, hat viele Vorteile: Man kann wieder darauf zurückkommen, auch wenn man sich nicht alles merken konnte.

Für welche Zielgruppen ist die Broschüre konzipiert worden und wo kann sie eingesetzt werden?

Konzipiert wurde die neue Broschüre für ältere Menschen und unter Einsatz von Nutzertestungen mit älteren Menschen. Mir ist aber sehr wichtig darauf hinzuweisen: Das Heft eignet sich auch als Unterrichtsmaterial! Ich habe gerade erst Broschüren an die Lehrenden von „Ethik in der Medizin“ verteilt. Im Bereich der Erwachsenenbildung denke ich nicht nur an Bildungsangebote für ältere Menschen, sondern auch an Basisbildungsangebote oder den Sprachunterricht für Menschen mit nicht deutscher Erstsprache … An dieser Stelle möchte ich mich auch herzlich bei der Urania, der Lebenshilfe Soziale Dienste und bei VIVID für ihre hilfreichen Rückmeldungen in der Konzeption der Broschüre bedanken!

Vielen herzlichen Dank an Jürgen Soffried für die Informationen, das zur Verfügung stellen der neuen Broschüre und die gute Kooperation!

Weiterführende Informationen und hilfreiche Links im Kontext:

  • Die Broschüre „Mein Arztgespräch“, die, konzipiert für ältere Menschen, auch sehr gut in der Basisbildung und im Sprachunterricht Daf/DaZ einsetzbar ist, steht online zur Verfügung unter: Mein-Arztgespraech-Web.pdf (gesund-informiert.at). Das Heft ist darüber hinaus in gedruckter Form (englisch und/oder deutsch) kostenfrei unter gfst@gfstmk.at oder +43 316 8775571 zu beziehen.
  • Viele nützliche Informationen im Kontext bietet auch die Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz: https://oepgk.at/
  • und Jürgen Soffried erreichen Sie für Rückfragen unter folgendem Link: www.ifgp.at 

Bildungsnetzwerk Steiermark

Claudia Zülsdorff