Erwachsenenbildung und Digitalisierung
Hannes Galter, Vorstandsvorsitzender im Bildungsnetzwerk Steiermark, ist überzeugt: es muss die Aufgabe der Erwachsenenbildung sein, in einer Verbindung von know how und know why persönliche Kompetenzen zu wecken und zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die von Landesrat Werner Amon ins Leben gerufene Initiative „Erwachsenenbildung neu denken“ hat ihre Halbzeit erreicht. Fünf Veranstaltungen zum Gedankenaustausch über Strategien, Finanzierungsmodelle, Nachhaltigkeit, Basisbildung und Digitalisierung haben stattgefunden, weitere liegen noch vor uns.
Ich denke dies ist ein guter Zeitpunkt, einmal reflektierend innezuhalten und den Prozess zu überdenken, zumal parallel zu unserem Gedankenaustausch ja auch gesellschaftlich und politisch Einiges in Bewegung geraten ist: Die europäische Friedensordnung steht auf dem Prüfstand, das demokratische Erbe verliert an Attraktivität, Klimakrisen und Inflation fordern Veränderungen in unserem Lebensstil. All das sind Herausforderungen, bei denen die Menschen Entscheidungshilfen und Verhaltensmodelle brauchen. All das sind Bereiche, in denen Erwachsenenbildung gefragt und gefordert ist. Sind wir als „Verantwortungsträger“, die in der „Grazer Erklärung“ genannt wurden, als Institutionen, öffentliche Hand und Medien, in der Lage, diese Aufgaben wahrzunehmen?
Mehrere Studien haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass breite Unterstützungsmaßnahmen in Richtung Vernunft, Weitblick und persönlicher Verantwortung dringen notwendig sind. Die „Ursachenstudie zu Ambivalenzen und Skepsis in Österreich in Bezug auf Wissenschaft und Demokratie (PDF)“ hat gezeigt, dass zwischen 21 und 31 % der Befragten gegenüber Wissenschaft desinteressiert, kritisch oder skeptisch eingestellt sind und dass diese Einstellungen mit Demokratieskepsis und Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen einhergehen. Eine parallel veröffentlichte Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart zu „Rechtspopulismus, Verschwörungs-Erzählungen, Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen in Deutschland (PDF)“ kam zu noch bedenklicheren Ergebnissen. Danach sind rund 25% der deutschen Bürger überzeugt, dass die Politik von geheimen Mächten gesteuert wird und die Tendenz zu derartigen Ansichten steigt mit einem sinkenden Bildungsniveau.
Das sind keine neuen Erkenntnisse, aber sie sollten uns nachdenklich stimmen. Seit der mittlerweile berühmt-berüchtigten Wortmeldung Kellyanne Conways zur Inauguration Donald Trumps am 21. Jänner 2017 sind alternative Tatsachen (alternative facts) und Falschmeldungen (fake news) nicht nur politische Kampfbegriffe geworden. Sie haben gerade im Bereich der Sozialen Medien eine erschreckend reale Existenz erhalten.
Der diesjährige Tag der Weiterbildung hat sich hochaktuell mit Fragen der Digitalisierung beschäftigt und unser Gastreferent Philipp Blom hat dabei auch die vielfältigen Konsequenzen der Polykrise aufgezeigt. Die Diskussionen um und über Digitalisierung pendeln in gleicher Weise wie die über die Veränderungen des Klimas zwischen Weltuntergang und Welterlösung hin und her. Philipp Blom hat in diesem Zusammenhang schon früher von einem „Krieg der Geschichten“ gesprochen. Und Ernst Sittinger schrieb am 27. August in seinem Leitartikel von der „Ohnmacht der Aufklärung“. Er stellte zurecht fest, dass sich die erhoffte totale Transparenz des digitalen Zeitalters ins Gegenteil verkehrt und dass die flächendeckende Digitalisierung verlässliche Strukturen des Wissenserwerbs weggeschwemmt habe.
Die Digitalisierung hat als Hilfsmittel, als Werkzeug, mittlerweile unseren gesamten Alltag erfasst hat und es gilt, sie als genau das, als Hilfsmittel, zu nutzen. Wenn es eine der elementarsten Aufgaben von Erwachsenenbildung ist, die Menschen dabei zu unterstützen, ihren jeweiligen Alltag zu bewältigen, dann hat sie hier ein weites Betätigungsfeld. Sie darf aber – bei allem Fortschrittsglauben – nicht vergessen, dass Digitalisierung per se kein Bildungsziel ist und auch keines sein kann.
Daher muss es die Aufgabe der Erwachsenenbildung sein – so wie in allen anderen Bereichen auch – persönliche Kompetenzen zu wecken und zu stärken, in erster Linie natürlich im Anwendungsbereich, aber darüber hinaus auch im intellektuellen Umgang mit den digitalen Werkzeugen – sozusagen eine Verbindung von know how und know why. Kompetenz bedeutet nicht nur zu wissen, wo man Informationen erhält, sondern auch, in der Lage zu sein, diese Informationen zu beurteilen und in einen Kontext einzuordnen. Kompetenz bedeutet auch die Fähigkeit, zu erkennen, ob der oder die gerade Sprechende etwas von dem versteht, was gesagt wird, oder nicht. Und dabei ist es gleichgültig, ob es ein(e) Referent(in), ein(e) Influencer(in) oder eine KI ist. Und wenn Kompetenz schließlich bedeutet, aus der Fülle dargelegter Verhaltensmodelle das beste auswählen zu können, dann war Bildung im Bereich von Autonomie und Mündigkeit erfolgreich und hat die „Ohnmacht der Aufklärung überwunden.
Ich möchte uns in diesem Zusammenhang die Bildungsdefinition Georg Pichts (1913-1982) in Erinnerung rufen, eines der Vordenker der deutschen Erwachsenenbildung der 1960er-Jahre, dessen Erkenntnisse heute wieder seltsam aktuell anmuten: „Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln.“
Könnte das der Leitsatz für ein erfolgreiches Jahr der steirischen Erwachsenenbildung sein?
Ihr Hannes Galter