Grundbildung in der Arbeitswelt gestalten | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Grundbildung in der Arbeitswelt gestalten

Dezember 2021

Der aktuelle Sammelband der Lernenden Region – Netzwerk Köln e.V. stellt eine Vielzahl an regionalen Projekten sowie aktuelle Forschungsergebnisse vor und ermöglicht einen spannenden Einblick in die „Arbeitsplatzorientierte Grundbildung“ unseres Nachbarlandes.

Lernende Region – Netzwerk Köln e.V. (2021): Grundbildung in der Arbeitswelt gestalten. Praxisbeispiele, Gelingensbedingungen und Perspektiven. Bielefeld: wbv. Online verfügbar

Der Sammelband überrascht mit einer umfassenden Dichte an Vorhaben, vor allem, was die Heterogenität der Zielgruppen angeht. Allen Maßnahmen gemein ist das Ziel, Grundbildung direkt am Arbeitsplatz anzubieten. Projektträger, Forschungsmitarbeitende und andere wichtige AkteurInnen kommen zu Wort, wodurch auch unterschiedliche Perspektiven auf das Konzept der „Arbeitsplatzorientierten Grundbildung“ eingenommen werden. Das Konzept wird im ersten Teil von Grund auf erklärt. Danach ermöglicht die klare, themenspezifische Gliederung, einzelne Kapitel für eine nähere Auseinandersetzung zu wählen. LeserInnen profitieren nicht nur von Best-Practice-Beispielen, sondern auch von konkreten Umsetzungsempfehlungen und lernen erfahrene Einrichtungen kennen.

Näheres zu den Inhalten der Publikation

Was genau ist „Arbeitsplatzorientierte Grundbildung“? Es ist statistisch nachgewiesen, dass der Großteil „gering literalisierter Erwachsener“ in einem aufrechten Arbeitsverhältnis steht. Lernen am Arbeitsplatz ist niederschwellig, die Lerninhalte orientieren sich an realen Stellenanforderungen. Diese umfassen nicht ausschließlich Lesen, Schreiben, Rechnen und Informationstechnologien, sondern beziehen all das ein, was am jeweiligen Arbeitsplatz benötigt wird, wie z.B. auch Kommunikations-, Qualitäts- und Rechtsthemen. Deswegen sind individuelle Konzepte notwendig, die partizipativ mit Unternehmen entwickelt werden. Die AutorInnen beschreiben, wie ressourcenintensiv diese Entwicklungsprozesse sind: Von der Akquise von Unternehmen und Bedarfsermittlung über die Ansprache von Beschäftigten, Evaluierung der Lernergebnisse und Sicherstellung von Nachfolgeangeboten.

Im zweiten Teil geht es um Erfahrungen, wie Zugänge zur Zielgruppe und zu Unternehmen geschaffen werden können. Einige Empfehlungen davon sind die (öffentliche) Förderung von Erstangeboten, kollegiales Mentoring und die Sensibilisierung von MultiplikatorInnen, z.B. PersonalerInnen, Interessensvertretungen und Beratungsstellen. Im Buch wird berichtet, dass das Problembewusstsein meist gegeben ist, Angebote jedoch nicht bekannt sind. Die Frage „Wie lange soll man noch sensibilisieren?!“ beantworten zwei Autorinnen daher mit „Solange es nötig ist“.

In den darauffolgenden Abschnitten werden branchen- und zielgruppenspezifische Konzepte vorstellt, wie z.B. für BerufskraftfahrerInnen, Pflegekräfte, MitarbeiterInnen in der Lebensmittelproduktion, in Beherbergungsbetrieben, an Produktionsschulen, für Lehrlinge, ZeitarbeiterInnen oder An- und Ungelernte. Teilweise sind die Unterlagen, die in diesen Projekten entstanden sind, auch für andere Einrichtungen frei nutzbar.

Einen weiteren spannenden Teil bilden Erfahrungsberichte zu digitalen Lernmöglichkeiten. Auch hierfür wurden arbeitsplatzorientierte Trainings entwickelt, die als Blended-Learning-Konzept (Kombination aus Präsenz- und Online-Einheiten) angeboten werden. Darüber hinaus wird die Plattform www.vhs-lernportal.de beschrieben, die kostenfreie, digitale Grundbildungskurse zur Verfügung stellt. Diese besteht seit 2017 und ist eine Zusammenführung der früheren Plattformen „ich-will-lernen.de“ und „ich-will-deutsch-lernen.de“. Eine besondere Qualität: Lernende bekommen nach der Registrierung eine/n TutorIn zugewiesen. Die TutorInnen korrigieren, beantworten Fragen und geben Rückmeldung zum Lernfortschritt, was die Verbindlichkeit deutlich erhöht.

Im letzten Abschnitt werden Gelingensbedingungen und Anknüpfungspunkte diskutiert. Darin finden sich die Ergebnisse einer Studie der Universität Köln, aber auch Empfehlungen aus der Praxis.  Trotz der Verankerung von Arbeitsplatzorientierter Grundbildung auf Förderebene (im Rahmen der AlphaDekade) sind Anbietende im Grunde mit ähnlichen Entwicklungsbedarfen wie hierzulande konfrontiert – z.B. mit strukturschwachen Gebieten, dem Fachkräftemangel sowie dem hohen Anteil an KMUs, deren Ressourcen sowohl zeitlich als auch personell ausgereizt sind. Die Schaffung kommunaler Strategien und Öffentlichkeitsarbeit, die weiterführend auch kommunale ArbeitgeberInnen überzeugt, werden als zentrale Strategien genannt.

Fazit

Die Autorin Annegret Aulbert-Siepelmeyer hält in ihrem Beitrag fest: „Arbeitsplatzorientierte Grundbildung als Baustein in der Bildungskette des lebenslangen Lernens wird an Bedeutung gewinnen, da sich auch Beschäftigte im Helfersegment zunehmend weiterqualifizieren müssen, um mit dem technischen und digitalen Wandel am Arbeitsplatz mithalten zu können“ (S. 189)

Auch in Österreich werden Projekte durchgeführt, die Basisbildung in Kooperation mit Unternehmen anbieten. Ein Sammelband ist uns in dieser Form (noch) nicht bekannt. Auch in der Schweiz gab es bereits ähnliche Vorhaben (siehe Broschüre GO – Grundkompetenzen direkt am Arbeitsplatz fördern).

Die Publikation gibt einen guten Überblick über das Konzept und Umsetzungsmöglichkeiten, die grundsätzlich auch auf Österreich übertragbar sind. Mehrere AutorInnen betonen, dass es einer Grundlagenförderung zur Umsetzung von Grundbildung in Unternehmen bedarf. Damit sind die darin enthaltenen Empfehlungen sowohl für umsetzungsinteressierte Einrichtungen, aber auch für politische EntscheidungsträgerInnen relevant.

Bildungsnetzwerk Steiermark

Mag.a Marlies Zechner