Wege zu mündigen Menschen | Bildung für Erwachsene in der Steiermark

Wege zu mündigen Menschen

März 2024

„Gerade wenn sie ein Friedensprojekt bleiben will, muss die Union sich der Frage stellen, ob sie Verteidigung kann.“ Dieser jüngste Satz der Salzburger Politikwissenschafterin Doris Wydra sowie rezente Beiträge von Richard David Precht, Jürgen Habermas und Konrad Paul Liessmann zeigen, wie schwer es geworden ist, sich im Dschungel rationaler, emotionaler, moralischer und historischer Argumente zu bewegen und zu einem eigenen ausgewogenen Standpunkt zu kommen.

Hannes Galter, Vorstandsvorsitzender Bildungsnetzwerk Steiermark ©Luef light

Globalisierung und Digitalisierung haben alte Sicherheiten fragwürdig werden lassen; und die Komplexität der Phänomene auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, medizinischer und allgemein wissenschaftlicher Ebene erzeugten deutlich spürbare neue Verunsicherungen. Als Folge dessen sind ein sinkendes Vertrauen in traditionelle Strukturen politischer, medizinischer und allgemein wissenschaftlicher Natur, eine Skepsis gegenüber komplizierten Erklärungen und eine Sehnsucht zur Rückkehr zu einfachen Lösungen erkennbar. All das führte zu einer deutlichen Segmentierung der Gesellschaft, gepaart mit einem neuen Biedermeier und mit einer zunehmenden Infragestellung traditioneller demokratischer Formen. Vor diesem Hintergrund lud das Bildungsnetzwerk Ende Jänner zu einem Gedankenaustausch über Demokratie, Wissenschaftsskepsis und Bildung ein. Als Inspiratorinnen dienten Aleida Assmann und Kathrin Praprotnik.

Aleida Assmann forderte dazu auf, an der politischen Kultur der Empathie zu arbeiten und betonte erneut die Bedeutung der von ihr 2018 geforderten „Menschenpflichten“, nämlich den Rückgriff auf kulturelle Werte wie Empathie, Solidarität und die Erstellung eines Kanons von Regeln des fairen und respektvollen Zusammenlebens. Diese seien der Schlüssel für eine humane Gesellschaft. Kathrin Praprotnik verwies darauf, dass Demokratien besser als ihr Ruf, aber weder selbstverständlich noch naturgegeben sind. Man muss um ihre Fragilität wissen, sie nicht den Politikern und Politikerinnen überlassen und sich für sie einsetzen.

Aber wie soll und kann sich Erwachsenenbildung in diesem schwierigen Spannungsfeld zwischen Populismus, Echokammern und notwendigem Engagement positionieren? Vielleicht hilft es, sich daran zu erinnern, dass Immanuel Kant, dessen 300sten Geburtstag wir in zwei Monaten feiern, die Mündigkeit des Menschen als das Vermögen definiert hat, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. In die gleiche Richtung dachte auch Hartmut von Hentig: „Die ordnende Kraft vernünftigen Denkens ist für die Bewältigung unseres Lebens notwendig.“ Die von ihnen postulierte Vernunft bzw. Kritikfähigkeit basiert auf drei grundlegenden Kompetenzen: jenen der Wahrnehmung, des Denkens und der Unterscheidung zwischen Relevantem und Irrelevantem. Hier kann Erwachsenenbildung ansetzen. Sie kann die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Menschen schärfen und sie dazu anzuleiten, das Wahrgenommene zu befragen und in seiner Bedeutung zu bewerten.

Doch politische oder ethische Entscheidungen lassen sich nicht ohne ein Mindestmaß an Sachkenntnissen treffen. Um sich im Dschungel der widersprüchlichen Expertenmeinungen, der mehr oder weniger genau recherchierten Medienberichte und der schöngefärbten oder schwarzgemalten Politikeraussagen den Weg zur eigenen Meinung zu bahnen, um zwischen Populismus, Scharlatanerie und Schlagzeilen einerseits und vertiefter Erkenntnis, begründeter Urteile und verantwortungsvoller Berichterstattung andererseits zu unterscheiden, bedarf es eines soliden Basiswissens. Wissen und Kritikfähigkeit gehen Hand in Hand. Klaus Bartels, Althistoriker in Zürich, brachte es auf den Punkt: „Ein fundiertes politisches Urteil setzt heute nicht nur einige Geschichtskenntnisse, sondern auch ein gehöriges Quantum naturwissenschaftlichen Grundlagenwissens und geistesgeschichtlicher Orientierung voraus.“

Auch hier erhält Erwachsenenbildung eine wichtige Aufgabe. Dabei könnten Vertrauen und Verantwortung als Schlagworte dienen. Erwachsenenbildung ist durch ihre Vermittlertätigkeit und ihre Kommunikationsfähigkeit in der Lage, aufzuzeigen, was Wissenschaft und Demokratie leisten können und was nicht. Sie kann komplexe Antworten auf komplexe Fragen allgemeinverständlich formulieren und so das Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie stärken. Damit würde sie sich auch als eine zentrale Einrichtung der Wissenschaftskommunikation beweisen. Um noch einmal an Hartmut Hentig anzuschließen: Erkenntnis und Lernen sind wechselseitig und untrennbar miteinander verbunden.

Erwachsenenbildung kann aber auch aufzeigen, wie, wo und warum Menschen in ihrem eigenen Umfeld – in der Familie, der Nachbarschaft, im Verein oder in der Gemeinde – Verantwortung übernehmen können und sollen. Das Aufzeigen diesbezüglich erfolgreicher Initiativen ist ein wirksames Mittel, die Gedankenspirale von Unmut, Frustration und Gleichgültigkeit zu durchbrechen. Gleichzeitig dienen sie als Ermutigung für alle anderen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und die eigenen Fähigkeiten dort einzusetzen, wo sie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen.

Und als Letztes: Bereits Aristoteles sprach dem Gebildeten die Fähigkeit zu, festzustellen, ob der, der da gerade spricht, ein Kenner der Materie sei oder nicht. Heute gilt dies angesichts ausufernder Populismen mehr denn je. Eines der vorrangigen Ziele von Erwachsenenbildung muss es daher sein, die Menschen zu befähigen, sich in dieser ständig verändernden Gesellschaft eigenständig zurechtfinden.

Hannes D. Galter

Bildungsnetzwerk Steiermark